Newsletter 95
Hintergrund: Die Adipositas-Epidemie hat zu einer Untergruppe orthopädischer Patienten mit einem Body-Mass-Index (BMI) von ≥50 kg/m² geführt. Ohne fundierte evidenzbasierte Leitlinien wissen spezialisierte Orthopäden und Anästhesisten nicht, ob sie die Grenzen der chirurgischen Durchführbarkeit einer Totalendoprothese des Kniegelenks (TKA) ohne Risiken für den Patienten ausreizen können. Es wird den Patienten häufig empfohlen vor einer Operation das Gewicht zu reduzieren.
Methoden: In einer retrospektiven Kohortenstudie mit Patienten, die sich in unserem akademischen Zentrum einer primären TKA wegen degenerativer Arthritis unterzogen hatten (n = 10.389; 6.821 Frauen, 4.070 Männer und 38 unbekannt), verglichen wir die Ergebnisse zwischen Patienten mit einem BMI von ≥50 kg/m² (n = 627) und Patienten in anderen Gewichtsklassen. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit betrug 8,6 Jahre. Wir verwendeten Cox-Proportional-Hazards-Modelle, um den Zusammenhang zwischen BMI und Revisionsrisiko zu schätzen, wobei wir übergewichtige Patienten (BMI = 25 bis 29,99 kg/m²) als Referenzgruppe heranzogen und dabei das Alter und Geschlecht der Patienten berücksichtigten. Die Patientenzufriedenheit, die Schmerzwerte auf einer visuellen Analogskala (VAS) und der Oxford Knee Score (OKS) wurden zwischen den Gruppen vor der Operation sowie 1, 5 und 10 Jahre nach der Operation verglichen.
Ergebnisse: Im ersten Jahr nach der Operation betrug die adjustierte Hazard Ratio (HR) für eine Revision der TKA bei Patienten mit einem BMI von ≥ 50 kg/m² 3,7 (95 %-Konfidenzintervall [KI] = 1,9 bis 7,2), wobei übergewichtige Patienten als Referenz dienten. Es gab praktisch keinen Unterschied zwischen Patienten mit einem BMI von 35 bis 39,99 kg/m² und denen mit einem BMI von 40 bis 49,99 kg/m². Nach dem ersten Jahr betrug die HR 1,2 (95 % KI = 0,7 bis 2,4) für die Revision der TKA bei Patienten mit einem BMI von ≥50 kg/m². Diese Patienten berichteten über eine schlechtere präoperative Funktion des Knies mit einem medianen OKS von 15 gegenüber 23 bei übergewichtigen Patienten. Bei adipösen Patienten korrespondierte jede zusätzliche BMI-Einheit mit einer zusätzlichen OKS-Verbesserung von 0,07 Punkten (95 % KI = 0,04 bis 0,10) nach einem Jahr.
Schlussfolgerungen: Unsere Studie bestätigt das erhöhte Risiko eines Versagens der TKA bei Patienten mit einem BMI von ≥50 kg/m² nur im ersten Jahr nach der Operation, aber wir fanden keine Hinweise auf schlechtere Ergebnisse in der Gruppe mit 40 bis 49,99 kg/m² im Vergleich zur Gruppe mit 35 bis 39,99 kg/m². Der Anstieg des Revisionsrisikos in der Gruppe mit ≥ 50 kg/m² wurde nur im ersten Jahr nach der Operation festgestellt und stagnierte danach. Trotz schlechterer Funktion und höherer Versagensraten berichteten Patienten mit einem BMI von ≥ 50 kg/m² über Vorteile und eine hohe Zufriedenheit mit der TKA. Insbesondere konnte die Mobilität dieser Patienten erhöht werden.
1) Righolt Ch et al. J Bone SurgAm 2025 May 23;107(13): 1472-1479
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